Er hatte es sehr lieb! Es war jung, rein, schön und weiß wie eine Wolke am Frühlingshimmel. Der Hirte hat ihm immer liebevolle Blicke zugeworfen und ist stets darauf bedacht gewesen, es ihm an nichts fehlen zu lassen, damit es seine Liebe erwidere. Aber das Schäflein läuft davon. Auf dem Weg am Rand der Weide hat sich ein Versucher herangeschlichen. Er trägt einen ein vielfarbiges Gewand, einen goldenen Gürtel, an dem silberne Glöcklein hängen, die wie Lerchenstimmen klingen, und Gefäße mit berauschenden Essenzen . . . und in der Hand ein mit Perlen besetztes Rauchfass, aus dem ein betörender Rauch, der gleichzeitig Duft und Gestank ist, aufsteigt, während das Glitzern der Schmuckstücke, die Augen blendet. Er geht singend daher und streut Salz aus, das auf der dunklen Straße glitzert. Neunundneunzig Schafe schauen ihn an und bleiben, wo sie sind. Das Hundertste, das Jüngste, das Lieblingsschaf, macht einen Sprung und verschwindet hinter dem Verführer. Der Hirte ruft nach ihm, aber es kehrt nicht zurück. Es läuft rascher als der Wind, um den Vorübergegangenen einzuholen; um sich beim Laufen zu stärken, kostet es von dem Salz, und verspürt darauf ein Brennen und ein fremdartiges Gefühl, das es verführt, nach dem tiefen Wasser im Dunkel des Waldes zu lechzen. Und in der Wildnis verliert es sich; es fällt, steht auf, fällt wieder . . . Ein-, zwei-, dreimal fühlt es an seinem Hals die Umarmung von Schlangen, und in seinem Durst trinkt es schmutziges Wasser, und da es hungrig ist, frisst es ekelerregende Blätter und Kräuter. Der gute Hirte bringt die neunundneunzig Schafe in Sicherheit; dann macht er sich auf den Weg und sucht so lange, bis er Spuren des verlorenen Schäfleins gefunden hat, und seine Einladung in den Wind schlägt, und er sieht es von weitem, trunken vom Geifer der Schlangen, so trunken, dass es keine Sehnsucht nach dem geliebten Antlitz verspürt, sondern darüber spottet. Und es fühlt sich schuldbewußt, gleichsam als Dieb, der in eine fremde Wohnung eingedrungen ist, so schuldbewußt, dass es keinen Mut mehr hat aufzuschauen . . . Aber der Hirte wird nicht müde . . . Er geht weiter sucht nach ihrer Spuren, Weinend sieht er auf den Spuren des verlorenen Schäfleins Wollfetzen: Fetzen der Seele; Blutspuren; verschiedene Vergehen; Schmutz: Beweis seiner Wollust. Er geht weiter und holt es ein. Ah! Ich habe dich gefunden, geliebtes Schäflein. Ich habe dich eingeholt! Wie weit bin ich deinetwegen gelaufen, um dich in den Schafstall zurückzuholen! Neige nicht beschämt den Kopf. Deine Sünde ist in meinem Herzen begraben. Niemand außer mir, der ich dich liebe, wird es erfahren. Ich werde dich verteidigen vor fremder Kritik. Ich werde dich mit meiner Person decken und dir ein Schild sein gegen die Steinwürfe der Ankläger. Komm! Bist du verwundet? Oh, zeige mir deine Wunden. Ich kenne sie. Aber ich möchte, dass du sie mir zeigst mit dem Vertrauen, das du hattest, als du noch rein warst und mich, deinen Hirten und Gott, mit unschuldigen Augen ansahst. Sieh, da sind sie. Wie traurig sie doch sind! Wer hat dir so tiefe Wunden im Grunde deines Herzens geschlagen? Der Versucher, ich weiß es! Er, der keinen Hirtenstab und keine Axt hat, aber dessen vergifteter Biss in die Tiefe dringt. Und seines falschen Edelsteine Sie haben dich verführt mit ihrem Glitzern . . . . Aber es war nur Höllenschwefel, der ans Licht gezogen wurde, um dir das Herz zu verbrennen. Schau, wie viele Wunden! Welch zerrissenes Fell, wie viel Blut, wie viele Dornen! O arme, kleine, enttäuschte Seele! Aber sage mir: Wenn ich dir verzeihe, wirst du mich dann wieder lieben? Sage mir: Wenn ich die Arme nach dir ausstrecke, wirst du dann herbeieilen? Deine Tränen, mit den meinen vermischt, waschen die Spuren deiner Sünde ab, und ich will dir meine Brust und meine Venen öffnen, weil du vom Übel, das dich verbrannt hat, aufgezehrt bist, und ich sage zu dir: „Nähre dich und lebe.“ Komm, dass ich dich in meine Arme nehme. Du wirst alles von dieser Stunde der Verzweiflung vergessen.
Ah! Meine Liebe! Ich Erreichte Dich Endlich!
Maria Magdalena
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Er hatte es sehr lieb! Es war jung, rein, schön und weiß wie eine Wolke am Frühlingshimmel. Der Hirte hat ihm immer liebevolle Blicke zugeworfen und ist stets darauf bedacht gewesen, es ihm an nichts fehlen zu lassen, damit es seine Liebe erwidere. Aber das Schäflein läuft davon. Auf dem Weg am Rand der Weide hat sich ein Versucher herangeschlichen. Er trägt einen ein vielfarbiges Gewand, einen goldenen Gürtel, an dem silberne Glöcklein hängen, die wie Lerchenstimmen klingen, und Gefäße mit berauschenden Essenzen . . . und in der Hand ein mit Perlen besetztes Rauchfass, aus dem ein betörender Rauch, der gleichzeitig Duft und Gestank ist, aufsteigt, während das Glitzern der Schmuckstücke, die Augen blendet. Er geht singend daher und streut Salz aus, das auf der dunklen Straße glitzert. Neunundneunzig Schafe schauen ihn an und bleiben, wo sie sind. Das Hundertste, das Jüngste, das Lieblingsschaf, macht einen Sprung und verschwindet hinter dem Verführer. Der Hirte ruft nach ihm, aber es kehrt nicht zurück. Es läuft rascher als der Wind, um den Vorübergegangenen einzuholen; um sich beim Laufen zu stärken, kostet es von dem Salz, und verspürt darauf ein Brennen und ein fremdartiges Gefühl, das es verführt, nach dem tiefen Wasser im Dunkel des Waldes zu lechzen. Und in der Wildnis verliert es sich; es fällt, steht auf, fällt wieder . . . Ein-, zwei-, dreimal fühlt es an seinem Hals die Umarmung von Schlangen, und in seinem Durst trinkt es schmutziges Wasser, und da es hungrig ist, frisst es ekelerregende Blätter und Kräuter. Der gute Hirte bringt die neunundneunzig Schafe in Sicherheit; dann macht er sich auf den Weg und sucht so lange, bis er Spuren des verlorenen Schäfleins gefunden hat, und seine Einladung in den Wind schlägt, und er sieht es von weitem, trunken vom Geifer der Schlangen, so trunken, dass es keine Sehnsucht nach dem geliebten Antlitz verspürt, sondern darüber spottet. Und es fühlt sich schuldbewußt, gleichsam als Dieb, der in eine fremde Wohnung eingedrungen ist, so schuldbewußt, dass es keinen Mut mehr hat aufzuschauen . . . Aber der Hirte wird nicht müde . . . Er geht weiter sucht nach ihrer Spuren, Weinend sieht er auf den Spuren des verlorenen Schäfleins Wollfetzen: Fetzen der Seele; Blutspuren; verschiedene Vergehen; Schmutz: Beweis seiner Wollust. Er geht weiter und holt es ein. Ah! Ich habe dich gefunden, geliebtes Schäflein. Ich habe dich eingeholt! Wie weit bin ich deinetwegen gelaufen, um dich in den Schafstall zurückzuholen! Neige nicht beschämt den Kopf. Deine Sünde ist in meinem Herzen begraben. Niemand außer mir, der ich dich liebe, wird es erfahren. Ich werde dich verteidigen vor fremder Kritik. Ich werde dich mit meiner Person decken und dir ein Schild sein gegen die Steinwürfe der Ankläger. Komm! Bist du verwundet? Oh, zeige mir deine Wunden. Ich kenne sie. Aber ich möchte, dass du sie mir zeigst mit dem Vertrauen, das du hattest, als du noch rein warst und mich, deinen Hirten und Gott, mit unschuldigen Augen ansahst. Sieh, da sind sie. Wie traurig sie doch sind! Wer hat dir so tiefe Wunden im Grunde deines Herzens geschlagen? Der Versucher, ich weiß es! Er, der keinen Hirtenstab und keine Axt hat, aber dessen vergifteter Biss in die Tiefe dringt. Und seines falschen Edelsteine Sie haben dich verführt mit ihrem Glitzern . . . . Aber es war nur Höllenschwefel, der ans Licht gezogen wurde, um dir das Herz zu verbrennen. Schau, wie viele Wunden! Welch zerrissenes Fell, wie viel Blut, wie viele Dornen! O arme, kleine, enttäuschte Seele! Aber sage mir: Wenn ich dir verzeihe, wirst du mich dann wieder lieben? Sage mir: Wenn ich die Arme nach dir ausstrecke, wirst du dann herbeieilen? Deine Tränen, mit den meinen vermischt, waschen die Spuren deiner Sünde ab, und ich will dir meine Brust und meine Venen öffnen, weil du vom Übel, das dich verbrannt hat, aufgezehrt bist, und ich sage zu dir: „Nähre dich und lebe.“ Komm, dass ich dich in meine Arme nehme. Du wirst alles von dieser Stunde der Verzweiflung vergessen.